Cover
Titel
The Case for Scottish Independence. A History of Nationalist Political Thought in Modern Scotland


Autor(en)
Jackson, Ben
Erschienen
Anzahl Seiten
210 S.
Preis
£ 59.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Almuth Ebke, Historisches Institut, Universität Mannheim

Die Unabhängigkeit Schottlands erreichen – dieses Ziel vieler schottischer Nationalisten erscheint heute näher denn je. Seit wann und inwiefern dieses Ziel Teil des politischen Forderungskatalogs schottischer Nationalisten ist, untersucht die 2020 erschienene Studie von Ben Jackson. Denn während die Geschichte der Scottish National Party (SNP) als Organisation bereits in Monographien und Sammelbänden von Peter Lynch, Gerry Hassan und James Mitchell, Lynn Bennie und Rob Johns aufgearbeitet wurde, hat das politische Denken schottischer Nationalisten bislang weniger Aufmerksamkeit erhalten.1The Case for Scottish Independence füllt damit eine zentrale Lücke in der politischen Ideengeschichte des Vereinigten Königreichs. Jackson interessieren dabei die unterschiedlichen Ausformungen nationalistischer Ideologie, das heißt die Texte der Personen, die für die staatlichen Unabhängigkeit Schottlands argumentierten, und zwar innerhalb und außerhalb der SNP. Jackson behandelt damit einen Aspekt eines deutlich breiteren nationalistischen Denkens, das sich zwischen den Polen „unionism“ und „nationalism“ bewegt.

Schottischer Nationalismus wird von Jackson als relativ junge politische Bewegung verstanden. Er verortet deren Ursprünge in den 1960er- und 1970er-Jahren und sieht eine Entwicklung hin zu einer genuinen Massenbewegung um die Zeit des Unabhängigkeitsreferendums 2014. Jackson geht es darum, die Begründungen der Forderungen nach einem eigenständigen schottischen Staat zu analysieren, wobei der Ausgangs- und Fluchtpunkt der Arbeit das gescheiterte Referendum des Jahres 2014 ist. Die Ursprünge der Ideologie werden hingegen bis in die 1930er-Jahre zurückverfolgt. Sein Ansatz ist ideenhistorisch: Nicht die Verbreitung von Ideen, sondern ihre Konzeptionierung und Theoretisierung in Büchern, Zeitschriften, Magazinen, Zeitungen oder Konferenzen stehen im Zentrum des Interesses.

Der mit rund 180 Textseiten vergleichsweise schmale Band ist in fünf Kapitel aufgeteilt, die thematisch und in sich grob chronologisch gegliedert sind. Im ersten Kapitel geht es um die im weitesten Sinne nationalistische Ideologie der Zwischenkriegszeit bis in die 1960er-Jahre. Jackson legt dar, wie einige Nationalisten bereits in den 1930er- und 1940er-Jahren ein stärker zentralisiertes und partizipatives schottisches Gemeinwesen forderten. Ein demokratischer und unabhängiger schottischer Staat sollte die durch die Union verloren gegangene nationale Souveränität Schottlands wiederherstellen, die jedoch in konkreten wirtschaftlichen, militärischen oder sozialen Angelegenheiten mit dem Vereinigten Königreich oder dem britischen Empire geteilt werden konnte. Jackson arbeitet damit die faszinierende Vorgeschichte der Souveränitätsdebatten der 2000er- und 2010er-Jahre heraus, ohne dabei die spezifischen Kontexte der 1930er und 1940er zu vernachlässigen: die zentrale Rolle ländlicher Gemeinschaften, die innerhalb dieses neu zu gründenden Staates revitalisiert werden sollten – ein Kernanliegen der presbyterianischen Berufs- und Kleinunternehmerschicht, die zu dieser Zeit die Mehrheit schottischer Nationalisten stellte.

Im Kern der beiden nächsten Kapitel steht jeweils eine einflussreiche Publikation, anhand derer unterschiedliche Aspekte des politischen Denkens aufgerollt werden: Das zweite Kapitel untersucht das kulturelle Argument für die Unabhängigkeit anhand George Davies The Democratic Intellect (1961). Unter dem kulturellen Argument wird im weitesten Sinne eine „institutional culture“ verstanden. Die Union bedrohe demnach die Autonomie der schottischen Institutionen, insbesondere deren egalitärer und kommunitärer Charakter. Davie warnte vor einer solchen Anglisierung, eine Warnung, die von einer Reihe schottischer Juristen aufgegriffen wurde. Das dritte Kapitel wendet sich der nationalistischen Kritik am britischen Staat anhand der einflussreichen Schriften Tom Nairns zu und zeigt, wie sehr die Unabhängigkeitsbefürworter die Analysen und Konzepte der Neuen Linken rezipierten. Das Kapitel nimmt Nairns intellektuelle Entwicklung als Ausgangspunkt, um den Gang einer breiteren radikalen Kritik zu verdeutlichen: eine Verschiebung von einer anfänglich marxistisch geprägten Kritik, in der die grundlegende Schwäche der britischen nationalen Identität in der engen Verbindung mit dem Empire und dem wirtschaftlichen „Niedergang“ des britischen Staates gesehen wurde, zu einer, die sich stärker auf einen demokratischen Republikanismus stützte.

Die Sorge um die „Scottishness“ schottischer Institutionen sowie die marxistische Kritik am britischen Staat stellen zentrale Aspekte nationalistischen Denkens in den 1960er- und 1970er-Jahren dar. Während gerade das Kapitel zu Nairn überwiegend bereits bekannte Punkte referiert, betritt Jackson in den beiden abschließenden Kapiteln historiographisches Neuland. Hier wendet er sich dem Verhältnis schottisch-nationalistischen Denkens zur Linken sowie nationaler Souveränität zu – Themen, die das Denken schottischer Nationalisten ab den 1980er-Jahren zunehmend beschäftigten. Die Argumentation entfaltet hier ihre volle Stärke: zum einen, weil der eher enge Fokus auf die Werke weniger zentraler Autoren ausgeweitet wird, zum anderen, weil die Problemgeschichte des schottischen Referendums von 2014 an Fahrt gewinnt.

Das vierte Kapitel handelt davon, wie Nationalisten sich mit breiteren Strömungen der Linken auseinandersetzten und versuchten, ihre Forderung nach Unabhängigkeit mit deren Agenda zu verbinden. In den 1960er-Jahren sei das zunächst die Forderung nach radikaler partizipativer Demokratie gewesen, bevor sich in den 1970er-Jahren vor allem eine sozialdemokratische Linie durchsetzte. Innerhalb der SNP sei dieser Konsens allerdings von der „`79er-Gruppe“ unterbrochen worden. Dieser Gruppe, der unter anderem Margo MacDonald, Alex Salmond und Stephen Maxwell angehörten, ging es darum, Nationalismus und Sozialismus zusammenzudenken und die schottische Arbeiterklasse zu aktivieren. 1982 wurde die Gruppe nach internem Streit in der Partei aufgelöst. Die SNP orientierte sich in den 1980er-Jahren an traditionellem „Labourism“ (S. 66), d.h. einer Politik, die die britischen parlamentarischen Traditionen akzeptierte und eher schrittweise Reformen als radikale soziale Veränderungen anstrebte. Ab den späten 1980er-Jahren wuchsen die Forderungen nach grundlegenden ökonomischen Strukturreformen mit dem Ziel, die schottische Wirtschaft zu revitalisieren. Vor allem Alex Salmond propagierte ab 1993 das skandinavische und zunehmend auch das irische Modell sowie die Vorteile einer global ausgerichteten Wirtschaft; eine Ausrichtung, die die SNP zunehmend in das politische Zentrum rücken ließ. Verbindungen zu den ähnlich gelagerten wirtschaftlichen Reformprojekten der Regierung Thatcher oder den Debatten innerhalb der Labour Party wären an dieser Stelle naheliegend, müssen jedoch von dem:der Leser:in selbst mitgedacht werden.

Im fünften und letzten Kapitel geht es um das Konzept der Souveränität. Jackson zufolge spielte es eine doppelte Rolle im nationalistischen Denken: Zunächst entwickelte sich die Vorstellung einer langjährigen schottischen Tradition der Volkssouveränität seit den 1980er-Jahren erneut zu einem zentralen Argument für die Unabhängigkeit Schottlands, gerade weil die englische verfassungsrechtliche Tradition Souveränität im Gegensatz dazu im Parlament verortete. Dieses Nachdenken über Souveränität ging mit einer Auseinandersetzung über die Kompetenzen einher, die ein schottischer Staat haben sollte. Hier kam dann die Idee ins Spiel, Souveränität zu „poolen“. Ein unabhängiges Schottland sollte über Selbstbestimmung in bestimmten Aspekten verfügen, in anderen jedoch Institutionen, Gesetze und sogar Gesellschaft mit fremden Nationen teilen: Die Ära der absoluten staatlichen Souveränität sei damit beendet. Ein unabhängiges Schottland werde damit zu einem „post-souveränen“ Staat – ein Status, den das Land mit einer Reihe anderer europäischer Staaten teilt. Der europäische Einigungsprozess wurde daher als Möglichkeit betrachtet, Unabhängigkeit zu erreichen, ohne die Handelsbeziehungen zum Rest des Vereinigten Königreichs zu beeinträchtigen – denn zu dieser Zeit war noch nicht absehbar, dass das UK aus der EU austreten würde. Jackson legt überzeugend dar, dass diese Neukonzeption von Souveränität der Forderung nach Unabhängigkeit größere Glaubwürdigkeit verlieh. Das Streben nach Unabhängigkeit wurde fortan in eine breitere Neukonfiguration nationaler Souveränität im Kontext des europäischen Integrationsprozesses und wachsender wirtschaftlicher Verflechtung eingebettet.

Jackson legt die unterschiedlichen Stränge schottisch-nationalistischen Denkens sorgfältig, differenziert und quellennah dar. Als Einstieg in die Geschichte des schottischen Nationalismus oder gar der Geschichte des politischen Denkens in Schottland ist es jedoch nur bedingt geeignet – und das ist auch nicht die Absicht des Autors. Der explizite Ansatz, politische Ideologien in ihrem historischen Kontext, ihren intellektuellen Ursprüngen, rhetorischen Strukturen und ihrer Rezeption zu analysieren, wird hier eher eng ausgelegt, sodass die Diskussionen schottischer Nationalisten nahezu insular wirken. Eine stärkere Einbettung der diskutierten Ideen in die breitere, UK-weite politische Ideenlandschaft wäre an mancher Stelle hilfreich gewesen, um einschätzen zu können, wie eng die ideologische Anbindung der schottischen Unabhängigkeitsvertreter an den breiteren linken Diskurs innerhalb und außerhalb Labours gewesen war. So wird zum Beispiel nicht klar, warum Nationalismus und Klassendenken als gegensätzliche oder gar einander ausschließende Ideologiebestandteile innerhalb der Linken gegolten haben – gerade hier wäre der Blick zur Labour Party sinnvoll und produktiv gewesen. Auch hätte die Diskussion der SNP in den 1990er- und 2000er-Jahren von einer stärkeren Verortung in den breiteren Debatten innerhalb der Linken über den Umgang mit dem wirtschaftspolitischen Erbe Margaret Thatchers und der Neuausrichtung der Labour Party profitiert.

Dies soll das Verdienst des Autors jedoch nicht schmälern. Jackson liefert mit seiner Studie eine längst überfällige und an Fachdebatten höchst anschlussfähige politische Ideengeschichte des schottischen Unabhängigkeitsdenkens, die sich nicht in einer Geschichte der SNP erschöpft. Wer sich für eine anspruchsvolle und ehrgeizige Geschichte nationalistischer Ideologie interessiert, ist mit der Lektüre des Buches gut beraten.

Anmerkung:
1 Gerry Hassan (Hrsg.), The Modern SNP. From Protest to Power, Edinburgh 2009; Peter Lynch, SNP. The History of the Scottish National Party, Cardiff 2002; James Mitchell / Lynn G. Bennie / Robert Johns, The Scottish National Party. Transition to Power, Oxford 2012.

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